Hands-off versus Hands-on

In den letzten Jahren gab und gibt es innerhalb unserer Berufsgruppe vermehrt Diskussionen, wo einige Stimmen die Rolle und teilweise sogar die Daseinsberechtigung von Manueller Therapie in Zeiten von evidenzbasierter Physiotherapie kritisch hinterfragen. Diese Diskussionen finden im klinischen Alltag, aber auch in diversen Blogs, Fachzeitschriften und Social-Media-Kanälen – teils sehr lebhaft – statt. Gründe hierfür sind:

  • Systematic Reviews und andere Übersichtsarbeiten, welche der Manuellen Therapie nur minimale bis moderate, und meist nur kurzfristige positive Effekte zuschreiben
  • die Wichtigkeit von adäquater Patientenedukation und einer überwiegend aktiven Rolle der Patientin in der modernen Physiotherapie
  • die Gefahr einer iatrogenen Chronifizierung (vor allem in Zusammenhang mit nicht-adäquater Patientenedukation und/oder einem zu großen Fokus auf „Hands-on“-Maßnahmen)
  • wissenschaftlich widerlegte traditionelle Erklärungsmodelle der Wirkmechanismen von Manueller Therapie

Wir glauben, diese Diskussionen sind berechtigt und sehr wichtig, da sie zur Weiterentwicklung unseres Berufes beitragen. Die Rolle von passiven Maßnahmen hat sich auch im Maitland-Konzept im Laufe der Jahre aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse deutlich verändert, aus unserer Sicht (und aufgrund klinischer Evidenz) gilt aber nach wie vor: manualtherapeutische Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Rahmen von Clinical Reasoning und eingebettet in einer modernen, auf Aktivität ausgerichteten Therapie sind in der heutigen Physiotherapie mehr als nur gerechtfertigt und können eine große Bereicherung in einer patientenzentrierten Behandlung darstellen.

Paradigmenwechsel in der Manuellen Therapie

... und warum das Maitland-Konzept nach wie vor aktuell ist und auch bleiben wird

Dank neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und der stetigen Weiterentwicklung der evidenzbasierten Physiotherapie hat es in den letzten Jahrzehnten einen Paradigmenwechsel in der Manuellen Therapie gegeben: Weg von traditionellen Erklärungsmodellen, basierend auf überwiegend peripheren biomechanischen Mechanismen, hin zu einem komplexen Zusammenspiel neurophysiologischer (und vor allem supraspinaler) Wirkmechanismen. Grund für diesen Wandel war die Tatsache, dass einige weit verbreitete traditionelle Erklärungsmodelle der wissenschaftlichen Prüfung schlicht und einfach nicht standgehalten haben (wie z. B. „Subluxationen korrigieren“, „Konvex-Konkav Regel“, „Wirbel einrenken“ bzw. spezifische Palpationsfähigkeiten wie „Stellung der SIPS beurteilen“ oder „Craniosakralen Rhythmus spüren“).

Das Maitland-Konzept bleibt dennoch relevant und das liegt vor allem an seinem bereits beschriebenen Fokus auf dem Clinical Reasoning und dem Brickwall-Denkmodell – wo theoretische Inhalte/Erklärungsmodelle das Handeln zwar beeinflussen, aber nicht leiten (im Gegensatz zur Klinik), und wo neue wissenschaftliche Erkenntnisse übernommen werden und nicht an bereits überholten Erklärungsmodellen festgehalten wird.

Diese Denkweise äußert sich auch in vermeintlichen „Kleinigkeiten“, wie der im Maitland-Konzept verwendeten Art der Notation: So werden bei der Dokumentation immer nur die Bewegungen beschrieben, die der Therapeut oder die Therapeutin vollführt; und es wird nicht das beschrieben, was hypothetischerweise im Körper des Behandelten passiert (denn diese Hypothesen sollten ja evaluiert werden).